Cat

Ellen Scheel

Kater Nemo Isnogud


(... oder Katzenzähmen leicht gemacht)


Wie alles begann ...
Es lebte einmal ein kleiner Kater, ohne Namen und Anschluss an eine Familie, in dem schönen Kieler Stadtteil Dietrichsdorf. Vor einem Jahr wild geboren und irgendwie von allen vergessen, hauste er allein in einer verlassenen, zugigen Gartenhütte an den lauten Bahnschienen.
Sein Essen musste er sich erjagen, und oft war sein Magen leer. Oma Tine (die er beim Herumstrolchen kennengelernt hatte) warf ihm manchmal mitleidig etwas Wurst und ein paar liebe Worte aus dem Fenster zu, aber das war es dann auch mit dem Menschenkontakt.


Er war ein freundlicher Geselle, und seine Neugierde das Leben kennen zu lernen war groß. Gerne sprang er von außen auf offene Fensterbänke, um in die Wohnungen zu schauen, und dann wurde er (wenn er entdeckt wurde) mit Wasser aus Sprühflaschen beschossen und verscheucht. Manchmal traute er sich sogar in einen offen stehenden Hauseingang hinein und wurde bei Sichtung sofort, durch ein Klatschen in die Hände und mit lauten Worten, von den Bewohnern vertrieben.


So war er immer auf der Hut vor Feinden und sehr scheu. Seine Meinung von den Menschen war eher schlecht als recht. Besser man ging ihnen aus dem Weg. Sein Fell war schwarz wie die Nacht, nur unter dem Hals zeigte sich ein kleiner, weißer Fleck. Wie alle Katzen war er ein sehr reinliches Tier und putzte sich viel. Das hielt aber nicht die Flöhe ab, die als Mietnomaden seinen dünnen Körper als Nahrungsquelle ausnutzten und einfach nicht vertrieben werden konnten. Das tat ihm weh, nervte und ärgerte ihn sehr.


Gartenbude


Immer auf sich selbst gestellt trieb er sich jeden Tag herum. Er suchte nach etwas das für ihn nicht richtig greifbar war, und das er tief in seinem Herzen vermisste (wir wissen was es war: ein Zuhause). Oft schaute er geschützt durch eine Hecke oder einem Gebüsch dem Treiben der Menschen zu, die er immer wieder nicht verstand. Ja wie auch, er hatte nie die Grundregeln des Zusammenlebens gelernt.


Durch einen Zufall (auf der kopflosen Flucht vor einem freilaufenden, großen Hund) gelangte er auf einen grün bewachsenen Hinterhof. Hier trafen sich immer wieder einige Nachbarn, um sich eine Auszeit vom täglichen Allerlei zu gönnen, und da gab es auch einige seiner Artgenossen. Gut genährt und beschützt, aalten sich die Katzen friedlich in der Sonne und tranken aus einer extra aufgestellten Schüssel sauberes Leitungswasser (er kannte nur abgestandenes Wasser aus Gießkannen). In ihm regte sich der Wunsch dazu zu gehören (... ich schmeiß alles hin und werde Prinz). Nur, wie konnte das gelingen?


Es zog ihn immer häufiger an diesen heimeligen Ort, und er bemerkte, dass die Menschen dort immer in einem ruhigen, liebevollen Ton miteinander und mit den Tieren sprachen. Jeder hörte auf einen Namen, und er fragte sich: Warum besitze ich keinen?


Frech und hungrig wie er war, traute er sich immer näher an diese bunte Oase heran, bis er eines Tages an einem lauen Sommerabend von einer Frau, die alle Marlies nannten, entdeckt wurde. Kurz blieb die Zeit stehen, und er erstarrte. Doch, oh welch ein Wunder, er wurde nicht vertrieben. Die Menschen sahen ihn an, warfen sich mitleidige Blicke zu, und servierten ihm (auf einem Porzellanteller!) das tollste Essen, das er je in seinem kurzen Leben gegessen hatte. Er fühlte sich gleich supergut. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, doch für den Kater eröffnete sich eine völlig neue, fremde Welt.


Das Eis war gebrochen, und von nun an genoss er alle Aufmerksamkeiten, die ihm zuteil wurden. Erst ließ er sich sein Essen in ein Gebüsch stellen, denn er traute dem Frieden nicht. Dann wurde er von Tag zu Tag mutiger, und er leerte seinen eigenen Fressnapf schon auf dem offenen Weg. Alfons, der Mann in der Runde, durfte ihn auch beim Fressen zart am Kopf streicheln. Das kannte der Kater nicht, aber es gefiel ihm, und er begann was für andere Katzen selbstverständlich ist: zu schnurren. Kraulen war auch schön, und nach kurzer Zeit schmiegte er sich an die Beine seiner neuen Freunde.


Marlies begann mit ihm zu spielen, und auch das war eine neue Erfahrung. Freund Uwe kam nun öfter zu Besuch und brachte ihm Spielmäuse und Leckerlis mit. Kurzum, Nemo war eine Bereicherung für alle, und egal zu welcher Zeit er nach seinen Menschen schaute, es war immer jemand da, der sich um ihn kümmerte. Miss Leni verglich ihn mit einem armen Kind, das staunend vor einem Spielzeugladen steht und nicht weiß, was es mit den tollen Sachen anfangen soll ... aber alle wollten nicht aufgeben, ganz langsam würde er alles verstehen, denn er war ja noch sehr jung.


Viel schlimmer war der Allgemeinzustand des Katers und sein Flohbefall. Er bemerkte, dass die Leute über ihn redeten und hörte, wie er den Hausbewohnern leid tat. Sein Fell war sehr stumpf und zottelig, zudem war er sehr abgemagert. (Alfons meinte: Der Kater ist in einem jämmerlichen Zustand). Na, was fiel den Menschen eigentlich ein! Sie sollten erst einmal vor ihrer eigenen Haustür kehren. Sein Zuhause befand sich nicht in einem Naturschutzpark! Wenn sie sein Landstreicherleben führen würden, sähen sie bestimmt noch viel schlechter aus. Er war doch super in Form, und heute gab es Rind in Gelee ... mmmh einfach genial, gigantisch!


"Schwarzer Kater"


Die Tage vergingen. Es war bereits Hochsommer, und so allmählich gehörte der "kleine Flohkati", wie Miss Leni ihn liebevoll nannte, zur Hausgemeinschaft dazu. Alles war gut, doch dann sprangen die Quälgeister in Flohform auf Marlies Katze Josie (sechs Jahre alt) und Opa Taiga, mit dem Miss Leni schon zwanzig Silvesterparties gefeiert hatte, über. Beim Beschnuppern und Kennenlernen, einfach so. Unser Katerchen fühlte, dass er irgendetwas schlimmes getan hatte, nur er wusste nicht was es war ...


Miss Leni war nicht amüsiert, denn einmal von Taiga unbemerkt in die Wohnung gebracht, fielen die Plagegeister auch über sie her und bissen in ihre Beine. Diese Stellen juckten so sehr, dass sie in der Nacht nicht mehr schlafen konnte. Jetzt war Schluss mit Lustig. Als erstes mussten die befallenen Tiere behandelt werden. Es gab die verschiedensten Mittel. Sie entschied sich für die Giftkeule vom Tierarzt und brachte gleich die Großpackung mit. Dann ging es in die Wohnung. Alles was waschbar war, kam in die Maschine. Für den Teppich gab es Flohpulver, und Miss Leni saugte zweimal am Tag ihre ganze Wohnung. Nie wieder wollte sie gebissen werden, von wegen Katzenflöhe gehen nicht auf Menschen. Völliger Quatsch.


Die zahmen Hauskatzen ließen sich leicht behandeln. Das Problem war nun, die Medizin auf das Fell des zugelaufenen Katers zu bekommen. Ein Freiwilliger musste her ... und Alfons wurde auserwählt. Während er dem schwarzen Wanderer (wieder ein Kosename für den Kater) beim Fressen die Lösung in den Nacken gab hoffte er nur, dass nicht alle Bemühungen seines Resozialisierungsprogramms umsonst gewesen waren. Der Schnuffel fühlte ein starkes Brennen auf seinem dünnen Körper und flüchtete sofort. Bereits in der Nacht bemerkte er aber, dass die Stiche aufhörten und die Schmerzen endlich vergingen - und das hatte Alfons geschafft. Am nächsten Tag ging er auf den Hinterhof, um sich für die Hilfe zu bedanken. Er fühlte sich richtig wohl. Alfons war da und goss die Blumen, er hatte befürchtet, dass der Kater nicht mehr wiederkommen würde. Nun kam er schnell auf ihn zugelaufen, dankbar und schmusiger als je zuvor. Eine ungewöhnliche Männerfreundschaft begann.


Kater Nemo


Es war an der Zeit, ihm einen Namen zu geben. Alfons wählte unter vielen Vorschlägen Nemo. Nicht auf den kleinen Korallenfisch bezogen, sondern auf den schlauen Kapitän aus dem Roman von Jules Verne. Der tierliebe Mann öffnete sein Kellerfenster und richtete für Nemo eine Schlafstätte ein, die er jederzeit nutzen konnte (plus Trockenfutter). Miss Leni nannte diese Unterkunft "Hotel Happy Cat". Es war schon komisch. Black Beauty hatte das Herz der Menschen erobert und war trotzdem frei. Manchmal blieb er ein paar Tage weg, dann sorgten sich alle um ihn, und wenn er dann wieder da war (oft mit Kampfwunden am Körper), freuten sich alle sehr. Durch die gute Pflege (Fressen, streicheln, bespielen) hatte Nemo an Gewicht zugenommen. Sein Fell war nicht mehr struppig, sondern es glänzte wie ein Gewand über und über mit Swarovskisteinen besetzt. Er hatte seine Würde als Katze zurückbekommen, und das dankte er den Menschen mit Zutrauen. Seine Geschichte verbreitete sich schnell in der ganzen Umgebung, und bald riefen ihm die Nachbar ein freundliches "Hallo, Nemo!" zu, wenn sie ihn sahen.


Alfons freute sich am meisten, denn ihm war der kleine Wildling richtig ans Herz gewachsen. Miss Leni sagte oft: "Nemo sollte ein richtiges Zuhause haben. Es wird bald Herbst, und wenn der Winter kommt, braucht das Tier einen warmen Platz zum Schlafen". Das sah Marlies genau so. Nur wer könnte ihn zu sich nehmen? Fast alle hatten schon eine Katze. Nur einer nicht. Also rief Alfons als erster und einziger: "Ich nehme ihn". Und so sollte es sein.
Das Problem war nur: Wie bekommt man den wilden Kater, ohne Zwang, in eine Wohnung im ersten Stock ... und wie gewöhnt man ihn an ein Katzenklo?


Nemo war ein sehr schlaues Tier und immer hungrig (darum bekam er den Nachnamen Isnogud). Das machte Miss Leni sich zunutze. Sie begann mit Klickertraining. Das klappte nicht nur im Internet, sondern machte auch auf dem Hinterhof viel Spaß. Nemo begriff sehr schnell, und so wurde er Schritt für Schritt durch das Treppenhaus in die Wohnung gelockt. Erster Versuch: Besuchszeit zwei Minuten und ganz schneller Rückzug. Zweiter Versuch: Besuchszeit vier Minuten plus Umgebungskontrolle. Dritter Versuch: Geschätzte zehn Minuten, selbstverständlich immer bei offener Tür. Vierter Versuch: 20 Minuten, alle Räume wurden begutachtet plus obere Schrankkontrolle. Fünfter Versuch: Eine Stunde bei geschlossener Wohnungstür und Begutachtung des Pappkartonhäuschens (Katzen lieben Pappkartons) in der Küche. So ging es viele Tage weiter. Immer ohne Druck und Stress. Einige Nachbarn meinten, Alfons solle das Tier doch einfach einfangen und ein paar Tage eingeschlossen in der Wohnung lassen, aber das war für den tierlieben Mann keine Option. Entweder kam Nemo freiwillig mit, oder nicht. Punkt.


Sleepy Time


Alfons Geduld wurde schnell belohnt. Nemo fühlte sich sehr wohl in seiner Wohnung, und als er das erste Mal auf seinem kuscheligen Lieblingssessel ein Mittagsschläfchen hielt, wusste er: der Kater bleibt. Das Katzenklo wurde mit Klumpstreu, Gartenerde und Blättern gefüllt und Nemo nahm es an.


Im Spätherbst fielen die bunten Blätter von den Bäumen, und die kleine Oase musste winterfest gemacht werden. Nemo war auf Tour in der Nachbarschaft und Alfons trug die Geranientöpfe zum Überwintern in den Keller. Langsam wurde es dunkel, als der tierliebe Mann ein lautes Schmatzen hörte. Er schaute sich um und entdeckte einen jungen Igel (ein noch sehr kleiner) der sich über die Reste aus Nemos Futternapf her machte. Es schien ihm sichtlich zu schmecken. "Na, du Hübscher" sprach Alfons ihn an, "Du musst aber noch etwas größer werden, sonst überlebst du den Winterschlaf nicht". Am nächsten Abend kam der Igel pünktlich zur selben Zeit wieder und brachte auch noch seinen großen Bruder mit. Die Hausgemeinschaft war begeistert, und alle hießen die Tiere willkommen. Nur der Verbrauch an Katzenfutter ging rapide nach oben, denn auch den Igeln schmeckte es.


Miss Leni und Alfons trafen sich nun jeden Tag bei Anbruch der Dunkelheit im Garten. Alfons leuchtete mit der Taschenlampe in das Gebüsch, und spätestens beim Klappern mit dem Teller kamen die Igel aus ihrem Versteck. Igel sollen Einzelgänger sein. Doch davon hatten die beiden wohl noch nichts gehört. Einträchtig nebeneinander genossen sie das Igelaufbaufutter und nahmen sichtlich schnell an Gewicht zu. Mitte November wurden sie dann nicht mehr gesehen und alle hofften, dass sie sich artgerecht in einem extra von der Gemeinschaft groß angelegten Laubhaufen zum Winterschlaf eingekuschelt haben.


Nun war es an der Zeit, die selbstgemachten Meisenkugeln aufzuhängen, und Alfons machte sich wegen der zunehmenden Kälte Sorgen um Nemo. Ständig schaute er aus dem Fenster, um dem Kater die Kellertür aufmachen zu können. Nur verpassten sich die beiden meistens. Da geschah ein kleines Wunder ... durch einen Zufall hatte gerade zu dieser Zeit ein bekannter Discounter einen Bewegungsmelder im Angebot. Alfons erwarb ihn und brachte ihn am Kellerfenster an. Betrat Nemo nun den Keller, erklang in der Wohnung ein Klingelton an einem Funkempfänger und Alfons wusste, dass der Kater da war. So konnte er diesem die Kellertür öffnen und ihn durch das Treppenhaus ins Warme holen. Der beste Kauf des Jahres - eine ungemeine Erleichterung für beide! Von da an bezog der kleine Kater Quartier in seinem neuen Zuhause.


Als Weihnachten vor der Tür stand, waren alle Tiere gut versorgt. Nemo entwickelte sich zu einer vom Tierarzt untersuchten, geimpften Hauskatze. Sein Lieblingsplatz war das Büro. Dort lag er auf der Fensterbank und sah den Schneeflocken zu, oder er chillte auf dem weichen Rattanstuhl mit der warmen Heizungsluft im Rücken. Er hatte Alfons als Freund und Diener akzeptiert und ihm beigebracht, die Türen zu öffnen, wenn er maunzt ... denn seine täglichen Ausflüge an die frische Luft wollte er nicht aufgeben … und Alfons freute sich jeden Tag darüber, dass es dem lieben Tier nun richtig gut ging.


Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.


"Weihnachtskatze"


... nun die Moral von der Geschichte: Verbesserungen werden erarbeitet. Es macht Mühe und kostet viel Zeit und Geduld, um aus einem Zugelaufi ein Haustier zu machen. Aber es lohnt sich allemal, denn Tierliebe ist nicht berechnend.


ENDE



Ellen Scheel


Alle Rechte vorbehalten - © Ellen Scheel 2017


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