Rosensee - Schwentine
Die Fee in der Champagnerflasche
Von Ellen Scheel
Es lebte einmal ... vor langer Zeit, auf einem Weingut in Frankreich die gute Fee Charlotte. Tadellos von Gestalt und Charakter behütete sie alle Tiere und achtete auf die Pflanzenwelt. Ihr Job, (den sie von Mutter Natur erhalten hatte) war es, den Menschen zu helfen und somit für ein bisschen Frieden auf der Welt zu sorgen.
Nun, Charlotte tat ihr Bestes, und eigentlich lief alles rund. Langeweile machte sich oft breit, und dann beschäftigte sie sich gern mit Kräutern und den angenehmen Seiten des Lebens. Gerne ging sie auf Maskenbälle oder folgte den Einladungen des Adels. Sie war ein sehr gern gesehener Gast und saß somit immer in der ersten Reihe, tja, eine gute Fee hatte man eben gern zur Freundin.
Charlotte mochte die Menschen und ihre Lebensart, jedoch ging sie im Herbst lieber auf die Erntedankparties der Fabelwesen. So auch in diesem Jahr. Schön aufgebretzelt und gut gelaunt betrat sie den Tanzplatz im Wald. Es wurde viel gelacht und getrunken, alles war perfekt.
Der Morgen graute schon, als sie auf dem Weg nach Haus (mit den Stiefeln in der Hand, etwas angeschickert) den Winzer Jacob traf. Dieser hatte sich verpflichtet an Charlotte drei Kisten Champagner pro Jahr für eine gute Ernte zu bezahlen. Charlotte achtete auf seine Weintrauben und sorgte allgemein für gutes Wetter. Das war ein cooler Tausch für beide Parteien, jedoch quälten Winzer Jacob große Sorgen, und seine Laune war ganz tief im Keller. Er hatte beim Glücksspiel, in dieser Nacht, viel Geld verloren, und brauchte nun jemanden zum Frust ablassen ... und Charlotte war zur falschen Zeit am falschen Ort.
Also, teilte er ihr mit, dass der Vertrag den die beiden hatten, gekündigt war, und Charlotte keinen Champagner für dieses Jahr erhielt. "Gut, alles klar" dachte diese, "Das machst du nur einmal mit mir".
Feen sind liebenswürdige Geschöpfe, doch wenn man sie ärgert, und sich einfach nicht an Abmachungen hielt, können sie auch nicht lieb ... so beschloss sie Jacob eine Lektion in Sachen "Vertragserfüllung" zu erteilen! Sie ging nicht nach Hause, sondern in den Weinkeller, wo die Champagnerflaschen lagerten. Mit Magie waren schnell alle Flaschen entkorkt und der Inhalt sollte eigentlich verderben. So der Plan ... doch das Schicksal spielte auch noch mit.
Es schickte Winzer Jacob in den Weinkeller.
Dieser erschreckte Charlotte so sehr, dass sie sich plötzlich in Nebel verwandelte und Zuflucht in einer offenen Flasche suchte. Jacob sah den Schaden und begann alles wieder gut zu machen. Er verschloss kurzerhand die Flaschen wieder, und Charlotte war gefangen. Feen sind nicht leicht einzuschüchtern, aber der Alkoholgehalt und die Enge in der Flasche versetzen Charlotte in eine Art von Koma.
Nun, die gute Fee fehlte auf dem Weingut und Jacob bekam wegen seinen nächtlichen Eskapaden mächtig Ärger mit seiner Frau und seinen Geschäftspartnern. Es ist klar: Scheidung und Insolvenz waren die Folge, und Jacob verzweifelte und verfiel in eine tiefe Traurigkeit ... Charlotte hätte alles wieder richten können, doch die saß ja eingesperrt in der Flasche. Ganz großes Unglück!
Jacob starb bald als gebrochener Mann. Das Weingut wurde zwangsversteigert, und die Champagnerflasche mit Charlotte wurde von einem Ehepaar auf Hochzeitsreise gekauft und in Ehren gehalten ( ... die Flasche sollte aufbewahrt und erst zur Silbernen Hochzeit, die nie erreicht wurde, geöffnet werden).
Fischkutter Kulle Christoph
Die Flasche befand sich nun im Besitzt von Tom, der in einem Fischerdorf an der Ostsee zu Hause war. Er war ein guter Kaufmann mit einem eigenen Laden. Im Sommer verkaufte er seine Waren der Region, überwiegend an die Touristen. In den Wintermonaten pflegte er seinen alten Fischkutter und manchmal fuhr er von Möven begleitet auf's Meer hinaus. Ein friedlicher sehr liebevoller Mensch halt. Das Haus und die Einrichtung hatte er von den Großeltern geerbt, und irgendwo im Kellerregal verstaubte die immer noch eingeschlossene Charlotte wie die Bücher, die niemand mehr las.
Nun, das Schicksal beschloss, dass Tom die falsche Frau gewählt hatte und beide sich im Streit von einander trennten. Ausgerechnet zu Silvester. Was tut ein Mann, der betrogen und verlassen wurde? Na klar, er trinkt, um zu vergessen. Der Inhalt einer Flasche Rum war vernichtet und trotzdem wollte Tom noch mehr (sein Kummer war sehr groß). Irgendwas an Alkohol musste doch noch im Hause sein. Er fing an zu suchen und da fiel sein Blick auf die Champagner Flasche. Gut behütet seit Generationen lag sie einfach da..und schrie: "Öffne mich!" Tom dachte an die Tradition, aber egal, es war ja Silvester, also aufgemacht!
Komisch, plötzlich war ein merkwürdige Nebel im Zimmer und eine jämmerlich anzusehende Gestalt sagte: "Du bist mein Meister, ich erfülle Dir alle Wünsche" (kleiner Scherz). "Prima" sagte Tom (der das mit dem Scherz nicht begriffen hatte) er nahm einen guten Zug aus der Flasche und verlor das Gleichgewicht und die Besinnung. Vollrauschschlaf auf dem Fußboden. Na dann ... Ihr wisst alle, dass Charlotte nun frei war. Sie hatte sich in den Jahrhunderten der Gefangenschaft körperlich sehr verändert. Ihre wundervolle Haut war weiß wie Kalk und voller Falten, der Körper war aufgedunsen und die wundervollen ebenholzfarbenen Haare waren nicht mehr vorhanden. In einem Schönheitswettbewerb hätte ein Michelinmännchen locker den ersten Preis gegen sie gewonnen, so furchtbar sah sie aus. Gut, aber Hauptsache erst mal raus aus der Flasche!
Endlich, endlich wieder frei! dachte Charlotte ... doch wo und wann war sie? Hier war alles sehr merkwürdig! Der Mann vor ihr auf dem Teppich hatte sehr komische Kleidung an, und die Luft roch merkwürdig. Da fiel ihr ein Spiegel auf, aus dem kamen Stimmen und Bilder. Ein tolles Jahr 2016 wurde dort gewünscht, und Charlotte begriff langsam, dass sie Jahrhunderte in der Flasche verbracht hatte ... müde von der ganzen Aufregung fiel sie in einen festen Schlaf. Alles andere konnte warten ...
Am Neujahrsmorgen erwachte Tom und traute seinen Augen nicht. Eine unansehnliche Frau schnarchte auf dem Sofa mit seiner Katze um die Wette. Egal, er hatte Kopfweh, Hunger und Durst, also erst mal Frühstück, das stand fest. Die Geräusche des Kaffeeautomaten und der Duft von Kaffee rissen Charlotte aus dem Schlaf. Verwirrt und nackt betrat sie die Küche in der sich auch Tom befand ... blöde Situation!! Beide sahen sich an und mussten lachen ... Es ging beiden furchtbar schlecht und trotzdem gab er ihr erst mal das größte Fischerhemd, das er besaß zum Anziehen, Tom war halt ein Gentleman der alten Schule,.. und die gute Fee mochte das.
Am Frühstückstisch bekam Charlotte erste Antworten auf ihre Fragen. Sie war entsetzt, dass sich die Welt so verändert hatte. Gern hätte sie alles dafür gegeben wieder nach Haus zu können, doch das ging nicht. Sie war im Jahr 2016 gestrandet. Tom, froh nicht allein zu sein, war ein netter Gesprächspartner, und er hörte ihr aufmerksam zu als sie ihre Geschichte erzählte. Die beiden mochten sich auf Anhieb und machten das Beste aus der dummen Situation. Charlotte musste erst einmal unter die Dusche, und dann zeigte ihr Tom das Haus. Er glaubte ihre verrückte Geschichte nicht, doch es ging ihm gut in ihrer Nähe, sie machte ihn in wenigen Minuten wieder stark und lebenshungrig. Und das machte ihm Mut. In einer Welt voller Schönheiten schaute er eben ins Innere der Frauen und welcher Mann hätte nicht gern eine gute Fee zur Freundin (auch wenn sie grade mal einen sehr schlechten Lauf hatte). Charlotte durfte solange bleiben wie sie wollte ... sehr gut.
Fischernetze
Tage vergingen. Charlotte erholte sich sehr schnell; und ihre Schönheit kam zurück. Längst war ihre Haut wieder schön, und ihre ebenholzfarbenen Haare wuchsen sehr schnell. Zudem verlor ihr Körper viel Wasser. Durch das Internet hatte sie erfahren, dass ein Bild von ihr im Louvre hing (Mona Lisa), und spätestens jetzt kann sich jeder vorstellen, wie sie eigentlich aussah. Doch der Schock über die verlorene Zeit blieb. Hier war alles so anders. Angefangen mit der Sprache und aufgehört mit den sanitären Anlagen, und Freunde musste sich man erarbeiten. Sie dachte viel über ihr Leben nach und fand, dass ihre Strafe, für diesen einen Fehler, Rache zu begehen, zu hoch gewesen ist. Aber es war nun einmal so, und es blieb ihr nur der Kampf, denn das Leben war halt kein Ponyhof.
Doch was sollte sie in diesem neuen Leben tun? Tom war sehr nett, nur auf der Tasche liegen wollte sie ihm nicht. Arbeit musste her, nur woher nehmen? Früher hätte sie mit den Augen gezwinkert und einen Zauberspruch aufgesagt ... aber sie besaß keine Zauberkräfte mehr und früher war Geschichte. Trotzdem, Charlotte wollte nicht aufgeben und zu einem vollwertigen Bestandteil der Gesellschaft werden. Tom besaß ein kleines Nähzimmer, und die Fee begann damit Kleider zu nähen und Naturmedizin herzustellen. Diese verkaufte Tom im Internet und in seinem Laden. Bald konnte Charlotte ihre Aufträge alleine nicht mehr bewältigen. So mietete Tom ein Studio für sie an und bald bekamen ein paar tolle Menschen eine Vollzeitstelle mit Weihnachtsgratifikation und zusätzlicher Rentenversicherung. Alles lief gut und wenn sie in manchen Nächten nicht schlafen konnte, bewachte sie Seeadlerhorste und dachte liebevoll an ihre alten Freunde. So lebte Sie sich ganz langsam ohne Magie in die neue Welt ein, und der gute Tom wurde ihr Gefährte ... niemals tranken sie Champagner, und so lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende.. und da sie noch nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
... jetzt die Moral von der Geschichte: Egal wie unverschuldet schlecht es dir gerade ergeht. Egal wie verzweifelt du bist ... Egal wie klein, dick und furchtbar du dich fühlst.. eines darfst Du nie tun: Aufgeben ... auf Dauer hilft nur Power ... und Sport!
Alle Rechte vorbehalten - (C) by Ellen Scheel 2016
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