Ostufer.Net - Zeitgeschichte
Schusterstadt Preetz
Wo man auch hinschaut: Preetz rühmt sich seiner Vergangenheit als Schusterstadt. Hier eine Plastik, dort eine Plastik, ein übergroßer Holzschuh, ein Schusterfest und Aufkleber in Form eines Schusterjungen überall. Glorreiche Vergangenheit oder Geschichtsklitterung und romantische Verklärung?
In einigen Preetzer Seitenstraßen sind noch alte Werkstätten von Schustern erhalten geblieben. So glorreich kann diese Vergangenheit nicht gewesen sein, denn heutzutage hat jedes halbwegs vernünftig gehaltene Schwein mehr Platz. Im Jahr 1864, also während des Deutsch-Dänischen Krieges, wird der Offizier Graf Adelbert Baudissin bei einem Preetzer Schuster einquartiert. Er vermittelt uns eine wahre Sicht der Dinge.
Preetz war ursprünglich ein Dorf, welches im Jahre 1226 dem Nonnenkloster geschenkt wurde, das um das Jahr 1150 gestiftet sein mag, mithin zu einer Zeit, wo die Wenden im östlichen Holstein noch am Heidenthume festhielten. Zur Zeit der höchsten Blüte hatte das Kloster siebenzig Nonnen und so ausgedehnte Besitzungen, daß es den frommen Schwestern schwerlich an Mitteln gefehlt hat, sich das Leben angenehm zu machen; nach der Reformation wurde das Kloster eine Stiftung für Töchter des eingebornen des reciipirten schleswig-holsteinischen Adels, und da die vierzig Konventualinnen jede eine jährliche Revenue von 700 bis 1100 Thaler preußischen Courant beziehen, wird man wohl kaum zu hoch greifen, wenn man das Gesammtvermögen der Stiftung auf anderthalb Millionen Thaler anschlägt.
Man merkt von diesem Reichthum aber nichts, wenn man das alte Kloster, die Kirche und die Häuschen betrachtet, in welchem die Damen wohnen, und geht man gar erst durch den Flecken selbst und macht man die haarsträubende Entdeckung, daß in den vierhundert und achtzehn Häusern einhundert und sechzig Schuhmachermeister mit ihren Gesellen und Lehrburschen wohnen, stellt man sich den sauern Ledergeruch, die Wasserkugeln über der dampfenden Thranlampe, das Hämmern, Pochen und Klopfen in den Werkstätten vor und weiß man gar, daß es rindlederne, kalblederne und pferdelederne Stiefel gibt, daß man Wasserstiefel, Schmier-, Juchten-, Glanz- und Wichstiefel trägt, feine, ordinäre und Mittelsorten, genähte und gepflockte Stiefel mit eisenbeschlagenen Absätzen und ohne Absätze, Stiefel mit doppeltem und einfachem Oberleder, Stiefel, die bis an die Hüfte reichen und Stiefel bis auf den halben Waden; - weiß man dieß Alles und sieht die blaßen Gesichter der Schusterjungen, die bei Ohrfeigen und kalten Kartoffeln großgeworden, das Baby der Meisterin warten und ihm den Mehlbrei einlöffeln müssen, den sie gerne selbst aufäßen; weiß man, daß die paar Preetzer, die nicht mit dem Pechdraht umgehen, Lohgerber sind, die für jene das Leder zurecht machen, und kommt man gar zur Zeit des Jahrmarktes nach Preetz, wo die einzige Straße, die den Namen einer Straße verdient, mit einer doppelten Reihe von Zelten angefüllt ist, in denen statt Lebkuchen, Pfeffernüssen und bleiernen Soldaten Stiefel und nichts als Stiefel aufgehängt und ausgestellt sind; und frägt man sich am Ende, wer in aller Welt diese ungeheure Quantität von Stiefeln tragen soll und wo die Beine und Füße stecken, die in sie hineinpassen, - nun, wenn man das Alles weiß, sieht und frägt, dann kennt man Preetz von einem Ende zum anderen und man kann mit Beruhigung sagen: "In Preetz wohnen Schuster!" Warum aber in Preetz nichts als adelige Damen, Schuster und Lohgerber wohnen, wer die Stiefel kauft, die in Preetz gemacht werden, und wie es überhaupt möglich ist, in einem Orte binnen fünf Minuten durch die Lärmtrommel hundert und sechzig Schustermeister, hundert und Schusterjungen und dreihundert und sechzig Schustergesellen zusammen zu trommeln, das sind Fragen, die Jeder an das Schicksal frei hat, auf die aber keine Antwort erfolgt.
Ich habe als Offizier einen ganzen Winter in Preetz gewohnt und bin bei einem Schuster im Quartier gewesen, und wenn ich die Wahrheit sagen soll, - ich habe nie ein besseres Quartier gefunden, als bei ihm; ich habe einen ganzen Winter Abends bei ihm; ich habe einen ganzen Winter abends l'Hombre gespielt - mit einem Schuster, und der Schuster spielte seine Spadille mit eben so vielem Geschick auf dem Tisch, wie der reiche Gutsbesitzer; ich habe nach dem Sturm auf die Düppeler Schanzen einen schwerbeladenen Wagen mit Lebensmitteln ankommen sehen, die den preußischen Soldaten geschickt wurden von Preetzer Schustern, - aber eins habe ich in Preetz weder für Geld noch gute Worte bekommen können - ein paar erträgliche Stiefel.
Aus: "Schleswig-Holstein Meerumschlungen. Kriegs- und Friedensbilder aus dem Jahr 1864"
Published by Ostufer.Net 2013