Kerzenstaender


Die Fabel von den tanzenden Mäusen


Eine (Vorlese-) Geschichte von Ellen Scheel


Es war einmal, vor gar nicht so langer Zeit, da lebten - im grünen Außenbereich einer kleinen Landschule - pfiffige weiße Mäuse. Irgendwann aus einem Käfig ausgebrochen, hatten sie dort einen genialen Platz zur Gründung einer Familie gefunden. Es war eine katzen- und hundefreie Gegend mit vielen Verstecken, und die Nahrung wurde einfach aus den Mülleimern gefischt. Täglich gab es achtlos weggeworfene Schulbrote und Obst und Gemüse im Überfluss. Für jede Maus ein Festmahl - und praktisch so gut wie mit dem Lieferdienst an die Haustür gebracht. Was noch fehlte, stiebitzte man einfach auf dem Gutshof. Tja, und nun beginnt unser Abenteuer …


Stellen wir uns einmal ein gepflegtes, weißes Herrenhaus vor ... ja, genau so ein Anwesen wie das auf dem Photo.

Der Gutsherr und seine Großfamilie (Oma, Opa, die verheirateten Kinder und seine fünf Enkelkinder (vier Mädchen und Kurt) liebten es, in den Sommerferien ausgiebig zu frühstücken und Ideen und Pläne zu besprechen . . . das war Tradition. In diesem Jahr hatte sich der Gutsherr für den Nachwuchs eine besondere Überraschung ausgedacht.


Herrenhaus


Er wusste, dass die Kinder bei schlechtem Wetter oft Langeweile hatten. Und so sollte in der kleinen Gutsschule ein Tanzkurs stattfinden. "Jaaaaa!" Alle fanden diese Idee super, und der Graf kümmerte sich gleich am Montag um eine Tanzlehrerin. Seine Wahl fiel auf Frau Schatz, eine begabte junge Frau aus einem Nachbardorf. Die war wirklich genau die richtige für diesen Job! Und sie war einverstanden, die Kinder im Tanzen zu unterrichten. Die erste Stunde verging, nett umschrieben, etwas holprig. Es mussten Tische umgestellt werden, und ihre Musik war nicht ganz die richtige. Zudem fühlte sich Kurt, als einziger Junge des Kurses unter elf Mädchen, fehl am Platze.


Frau Schatz bemerkte diese Umstände sofort, aber so schnell wollte sie nicht aufgeben. Sie hatte mehr als nur Standardtänze in Ihrer Musikbox … die Kinder würden schon sehen! Und tatsächlich! Jede Woche (auch wenn es nicht regnete), trafen sich die Kinder in der kleinen Schule. Kurt tanzte nicht mit, er kümmerte sich um die Tontechnik, und so konnten alle mitmachen und waren zufrieden.


Am Anfang fiel Frau Schatz der Unterricht schon etwas schwer, denn erwachsene Tanzschüler sind schon etwas disziplinierter. Aber sie mochte die Kinder, und die Kinder mochten Frau Schatz … somit war alles gut und die Mädchen tanzten und sangen begeistert in ihren Stunden mit. Sie wurden immer ein wenig selbstbewusster und lachten silberhell, wenn Schrittfehler passierten. Tja, und nachdem das Problem mit links und rechs geklärt war, machte alles nur noch mehr Spaß.


Nun geschah folgendes: Gerne gingen die Mädchen während des Unterrichts – natürlich zu zweit - auf die Toilette. Dass sie eigentlich nur auf dem Schulhof spielen wollten, wusste die kluge Lehrerin … aber - sie ließ die Mädchen machen. Denn gerade dann tanzte sie die beliebtesten Tänze mit den übrig gebliebenen Kindern, und sie war sich sicher, dass dieses Verhalten schon von alleine vorbeigehen würde.


An einem sonnigen Donnerstag geschah dann das kleine Wunder: Die Mädchen glaubten ihren Augen kaum, vor dem Fenster des Trainingsraums hüpften fünf junge Mäuse herum, vier weiße und eine braune.


"Frau Schatz, Frau Schatz!" riefen die Kinder ganz aufgeregt, "Draußen vor dem Fenster tanzen fünf Mäuse den Ententanz." Die Trainerin überlegte kurz … war heute schon wieder der erste April? Aber nein, es war Mitte August, und so etwas dachten sich die Kinder doch nicht so einfach aus. Also, schnell die Musik wieder an, und alle aus dem Fenster geschaut … und tatsächlich: fünf kleine Mäuse tanzten dort nach der Musik im Klassenraum … unglaublich, aber so ist es geschehen.


Nun, Frau Schatz ging nach draußen und wollte die Mäuse in den Klassenraum bitten. Aber die erschraken und verschwanden im dichten Gebüsch.


Maus


In der nächsten Woche waren die Mäuschen wieder da, und dieses Mal folgten sie der Einladung der Tanzlehrerin. Sie durften geschützt auf der Fensterbank die Schritte lernen und mittanzen. Ab diesem Tag gehörten sie als vollwertige Mitglieder zur Tanzgruppe, und sie erschienen immer pünktlich zum Unterricht und stritten sich nie.


Die Eltern der Mäuse fanden das nicht gut, sie meinten sie sollten unter ihresgleichen bleiben. Aber die jungen Mäuse hörten nicht. Den Grafen freuten die positiven Rückmeldungen zu seinem Tanzkurs, und er wollte die Gruppe einmal mit eigenen Augen sehen. Nur, es ergab sich immer keine Gelegenheit – zuviel Arbeit auf dem Gutshof.


Die Ferien vergingen wie im Flug, und die Gruppe war traurig, dass Frau Schatz nun nicht mehr kommen konnte. Die Kinder ersannen einen Plan. Gemeinsam suchten sie den Grafen auf und baten um eine Verlängerung der Tanzstunden. Der Graf war sehr erstaunt, aber er hatte eine Idee. Die Gruppe sollte zum Erntedankfest mit zwei einstudierten Tanzstücken auftreten, um so zeigen zu können, was sie gelernt hatten. Danach würde er über eine Verlängerung der Stunden entscheiden. Alle zwölf Kinder der Tanzgruppe freuten sich sehr darauf, und Frau Schatz fühlte sich geehrt über den Einsatz der Kinder. Kurt durfte die Musikstücke aussuchen, und die Mädchen tanzten danach. Alles schikilaki.


Die kleinen Mäuse konnten jedoch nicht mit zum Auftritt, und das machte sie sehr traurig. Frau Schatz hätte sie gern mitgenommen, aber das ging nun einmal nicht. Dass Tiere zu ihrer Gruppe gehörten, war ein Geheimnis, und so sollte es auch bleiben. Alle waren darüber sehr betrübt. "Oh weh." Der Sonntagnachmittag des Erntedankfestes begann, und die Kinder waren sehr, sehr aufgeregt. Da besuchten die Mäuse Frau Schatz um zu sehen, ob diese ihre Meinung geändert hatte. Aber die blieb dabei: „Keine Maus geht mit auf die Bühne“ (Punkt!)


Auf dem Weg nach Hause weinten die Mäuse dicke Tränen.


Dieses Weinen hörte die gute Fee Romi. Sie überflog gerade den Schulhof auf ihrem Weg zum angrenzenden Wald, um dort Pilze zu sammeln.. „Oh weh, wer weint denn da so kläglich?“ fragte sie. Und als sie die Mäuse sah, war ihre Frage beantwortet. „Nun, ihr süßen Mäuse, kann ich euch irgendwie helfen? Ihr weint euch ja sonst noch die Augen aus!“ „Ja“ riefen diese, „Wir wollen auf dem Erntedankfest mittanzen, als Menschenkinder.“ Ups, diese Antwort hatte sie wirklich nicht erwartet. Große Probleme friedlich zu lösen gehörte zur ihrer Natur, und sie wollte unbedingt helfen. Nun, Romi hatte sich selbst ein paar Zaubersprüche beigebracht, und schon hatte sie eine rettende Idee. „Gut, ihr Mäuse, ich verzaubere euch in Kinder, aber ihr habt nur eine Stunde Zeit, dann ist der Zauber vorbei. Bitte denkt daran!“


Die Mäuse freuten sich und waren einverstanden. Die gute Fee sagte den Zauberspruch, und die Tanzmäuse waren plötzlich Menschenkinder in Festtagskleidung (vier Mädchen und ein Junge).


Es wurden noch kurz Handynummern ausgetauscht, und dann liefen die Gruppe schnell zurück zu Frau Schatz. Die verteilte gerade die Gruppen-T-Shirts an ihre Tänzerinnen und staunte nicht schlecht. Oh, wie sich alle freuten! Die Gruppe war nun vollzählig, und auch die T-Shirts passten. Alle sahen einfach bezaubernd aus. Bühne des Lebens, wir kommen! Und so machten sie es. Die Musiktitel liefen problemlos, und alle Kinder erhielten viel Applaus. Der Graf war begeistert - und sehr stolz auf seine Kinder.


Dann folgte noch eine Zugabe, und alle gingen mit einem breiten Lächeln von der Bühne ab. Alles super gut.


Doch die Zeiger der Uhr liefen für die verzauberten Mäuse unaufhaltsam weiter … schnell noch ein Erinnerungsfoto, kurz Frau Schatz gedrückt, ein paar Kekse für die Eltern eingesteckt … dann mussten die verzauberten Mäuse ganz schnell nach Hause laufen. Mitten auf dem Schulhof verflog der Zauber und alles war vorbei. Zum Glück war es bereits dunkel, und so sah niemand, was dort geschah.


An diesem Sonntagabend waren alle Kinder und auch Frau Schatz sehr, sehr müde. Es war ein richtig schöner Nachmittag gewesen. Frau Schatz konnte nicht wirklich verstehen, warum die Mäuse plötzlich menschlich waren, aber im stillen hoffte sie, dass nicht demnächst ein Rehlein vor dem Fenster mittanzt. Dann bekämen alle echte Platzprobleme im Klassenraum.


Die fünf kleinen Mäuse gehen immer noch pünktlich in den Tanzunterricht … und im nächsten Jahr wollen sie beim großen Fest mit auf die große Bühne … die gute Fee Romi hat bereits telefonisch Hilfe zugesagt.


… und die Moral von der Geschichte:
Wo ein Wille, da ist auch ein Weg … und wer dann noch fleißig mitmacht, kann bald auch den schwersten Tanz mit allen Schritten und Drehungen.


Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen sie noch heute :)


Alle Rechte vorbehalten – Ellen Scheel 2016


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