Sundown

Ellen Scheel

Liebe in der Schnittmenge


Ein Märchen aus der Jetzt-Zeit.


Es war einmal einmal ein König, sein Name war Paul, der lebte zufrieden in seinem wunderschönen Schloss an der Ostsee. "Herr der Worte" wurde er genannt, denn niemand konnte ihm etwas vormachen und Diskussionen gewann er meistens mit links. Geliebt von seinen Untertanen und geachtet von seinen Feinden gelang es ihm jeden Tag weise und gerecht zu regieren. Niemand in seinem Land musste sich Sorgen um die Zukunft machen denn der kommende Tag wurde immer besser als der letzte. Klar dass Wohlstand und Liebe in jedem Haus zu finden waren. Wissenschaft und Kultur standen an oberster Stelle. In den Schulen unterrichteten die besten Gelehrten, und jede Idee wurde gehört und wenn möglich umgesetzt. Seine Welt war vollkommen und die Schatzkammern wohl gefüllt ...

Nun, König Paul war nicht mehr der Jüngste und obwohl ihm die schönsten, klügsten und stärksten Frauen des Landes zu Füßen lagen und für Wärme und Licht in dunklen, kalten Nächten sorgten, fehlte im einfach die aufrichtige Liebe ... und die kann man halt mit Geld nicht kaufen. So sehr er sich auch bemühte, seine Seelengefährtin zu finden; es endete (meistens) in einem freundschaftlichen Verlassen. Armer König Paul.

Liebe schlägt zu, wann immer sie will. Unbestechlich und unschlagbar mit einer solchen Kraft, dass es einen von den Füßen haut, und genau das wollte König Paul einmal erleben. Tja, aber wie sollte er das anstellen. Verheiratet mit seinem Beruf und immer im Mittelpunkt von Festlichkeiten war kein Platz und auch keine Zeit für die wahre Liebe.

Es begann an einem Frühlingstag ... König Paul, wie immer in seinem Arbeitszimmer (mit Blick auf die Hauptstraße) stand am Fenster und schaute sich das bunte Treiben an, da sah er plötzlich "Sie". Ihr Name war nicht Sissi (ha ha, kleiner Scherz) sondern Marie. Blonde Haare, schicke Kleidung, normale Figur, die Haare vom Wind zerzaust und eher von kleiner Gestalt. Halt Modell "moderne graue Maus". "Komisch" dachte er, "wer mag das sein", und schon klingelte das Telefon und rief ihn wieder an den Schreibtisch zurück. Ein paar Tage später wiederholte sich diese Szene, und König Paul bemerkte, dass diese Frau wohl neu in der Stadt war und neben dem Schloss wohnte. "Gut, eine neue Nachbarin" dachte sich König Paul und arbeitete weiter. Logisch, dass er von nun an immer häufiger am Fenster stand und nach der Nachbarin schaute die er immer mehr leiden mochte. Sein Interesse war geweckt. Marie bemerkte davon selbstverständlich nichts. Sie war viel zu sehr mit ihrer eigenen Arbeit und dem Leben beschäftigt als zum Fenster des Königs zu schauen.

Der Sommer zog ins Land und die Kleider wurden kürzer, und die Blumen blühten in den schönsten Farben. König Paul stand am Fenster und schaute die Straße entlang, da sah er Marie mit einem riesigen bunten Blumenstrauß, und es war um ihn geschehen. Nun wusste er, dass er diese Frau unbedingt kennen lernen musste ... aber wie?

Als König, sollte man meinen, gibt es da eine Menge Lösungen für das Problem, aber Paul nahm es lieber selbst in die Hand. Er schrieb einen Brief, gab eine Visitenkarte dazu, packte alles regengeschützt in Alufolie und steckte alles unter Maries Autoscheibenwischer. "Prima" dachte er, "alles richtig gemacht". Doch er hatte nicht mit Marie gerechnet. Die ging frühmorgens aus dem Haus, sah den Brief öffnete ihn auf dem Weg zum Mülleimer (die Visitenkarte ging wohl auf dem Weg verloren) und hatte nun einen tollen Text vor sich, ohne eine Adresse, Telefonnummer etc., an die sie sich hätte wenden können. Dumm gelaufen ...


Sehnsucht

König Paul, daran gewöhnt dass man auf seine Briefe antwortete, erhielt von ihr keine Nachricht ... unerhört! Marie jedoch schrieb eine Nachricht und heftete diese auch an Ihre Autoscheibe - eine Woche lang - die sah aber Paul nicht. Tja, that's life!

Nun, die Zeit verging und es wurde September. Marie dachte nicht mehr an den Brief an der Autoscheibe und das Leben war so schon anstrengend genug. Jedoch König Paul wollte noch nicht aufgeben. Er hatte sie inzwischen lieb gewonnen und wollte sich noch nicht geschlagen geben. Also musste er seine Strategie ändern: Er beschloss es mit einem frontalen persönlichen Angriff, so hatte er schließlich schon jede gekriegt. Ein warmer Spätsommertag begann, und Marie ging wie jeden Tag mit Katerchen Taiga gassi.

Alles war ruhig in der Straße, und plötzlich sah sie einen tollen Mann, der auf Ihrem Gehweg vorbeiging. "Oh endlich mal ein toller Mann" dachte sie, und schon war er wieder verschwunden. Gut, die Katze hatte genug frische Luft und wollte wieder in die kleine Dachgeschosswohnung im dritten Stock. Als Marie die Wohnungstür aufschloss, fielen Ihr die Einkäufe im Auto ein - also wieder nach unten. Gerade als sie einen Kürbis aus dem Auto (im Ernst) holte, sprach Sie der tolle Mann an: "Hallo" sagte er, "ich habe hier am Auto eine Nachricht hinterlassen, ist die nicht angekommen?" Marie sah nur seine Augen und fragte: "Bist du Paul?"
"Ja, genau" meinte er.
"Oh, Paul wenn Du das nächste mal eine Anschrift hinterlassen könntest, wäre das sehr schön."
"Wieso ich habe doch meine Visitenkarte beigelegt?"
"Ach", sagte Marie, "und warum habe ich die dann nicht bekommen?"
"Das ist ja peinlich" meinte König Paul.
"Ja" sagte Marie und "ich habe eine Woche lang eine Nachricht für Dich an der Scheibe gehabt, nur leider ohne Antwort. Und ich kann nicht die ganzen Häuser nach einem Paul absuchen, sorry." Oh, oh König Paul traute seinen Ohren nicht, aber Marie hatte ihre Nachricht noch im Handschuhfach und Paul bekam sie geschenkt.

Trotzdem nahm er sich ein Herz und bat sie um ein Treffen, denn sie hatte sein Herz im Sturm erobert. "Gut " sagte Marie, die ihn gleich leiden mochte, "jetzt habe ich keine Zeit, aber morgen oder übermorgen passt es mir super". König Paul war total verblüfft, das ging Ihm einfach zu schnell und zu einfach ... aber egal, ein Treffen musste er unbedingt versuchen. Glück geht einher mit den Mutigen, und König Paul war nie in seinem Leben feige gewesen. Termin: Freitag 16 Uhr Kaffee trinken am Strand.

Marie bekam noch eine zweite Visitenkarte, die in der Hosentasche verschwand, und alles war gut ... (so gesehen) ... aber Marie war anders als alle anderen Frauen im Königreich. Sie steckte die Hose mit der Visitenkarte in die Waschmaschine, und jeder weiß, was dann mit diesen Dingern passiert.
Gut, sie wollte nach einer dritten Karte fragen ... ganz bestimmt!

Der Freitag kam und Marie hatte einen harten Arbeitstag hinter sich (Sie stand um fünf Uhr früh auf und war um sechs schon am Arbeiten ... für viele Leute mitten in der Nacht). Jedoch schnell geduscht und ein Kleidchen an, das musste reichen. König Paul war pünktlich und wusste wo sie hinfahren konnten, also los. Eine wirklich komische Situation und warum tue ich mir das an ... dachte Marie. Jedoch König Paul war ein sehr angenehmer Gesprächspartner, und Marie mochte seine Stimme. Dazu schien die Sonne, und das Meer machte alles irgendwie romantisch. Der Abend kam und beide mussten sich trennen ... ohne einen neuen Termin abzumachen nahmen sie Abschied und keiner von beiden wusste, ob sie sich noch einmal wiedersehen. Marie hatte das mit der Visitenkarte natürlich gebeichtet, und König Paul ganz Gentleman gab ihr ohne zu meckern eine dritte Karte. Das fand Marie toll von Ihm, und er hatte einen Platz in Ihrem Herzen gefunden.

Nun konnte sie einmal im Internet nachsehen, ob seine Angaben auch wirklich stimmten. Es waren viele Blender und Pflegefälle unterwegs, und Marie hatte keine Lust an so einen zu geraten. Gut, König wollte er sein. Hahaha, Visitenkarte heraus und ab ins Internet ... oha, stimmte. Das war jetzt ein Problem, was sollte sie mit einem König und dazu mit einem Königreich anfangen? PC aus und erst mal nachdenken ... oder Party machen. (Ihr wisst, was Marie wählte). König Paul hingegen war sich sicher, diese Frau will er näher kennenlernen (egal, dass sie ständig seine Visitenkarten verlor. Das machte nix, denn davon hatte er viele) aber eine Marie bekam er so schnell nicht wieder, das wusste er, die war einmalig ... und so verliebte er sich ein klein wenig ... und dass Marie bei der Verabschiedung nicht um ein neues Date gefragt hatte, machte ihm Sorgen, doch er wollte nicht aufgeben!!!
Diese Frau oder keine. Vel Glück, König Paul!!

Marie war ein Singlemädchen wie aus dem Bilderbuch, und so hatte sie viele Freunde und auch viele Verabredungen. An dem Samstag nach dem Treffen am Strand war sie mit Ihrer besten Freundin Jola zum Oktoberfest verabredet, natürlich im Dirndl. Eigentlich eine runde Party, aber diesmal war sie nicht in Stimmung und ging früh nach Hause. Dort schaute sie gelangweilt aus dem Fenster und dachte an König Paul ... und das Telefon war so nah, dass sie ihn einfach anrief, und auch seine Telefonnummer stimmte, denn er nahm gleich den Hörer ab. Gut, was sagt eine Frau, die nachts einen Mann anruft? Na klar: "Hallo, hier ist Marie, wollen wir uns noch treffen und eine Flasche Wein trinken?" und was antwortet ein Mann darauf: "Super Idee, komm vorbei!" Ups, damit hatte sie nun nicht gerechnet, aber auch Marie war nicht bange. "Gut, mach ich, aber ich muss dich warnen, ich habe ein Dirndl an und ziehe mich jetzt nicht mehr um." Na ja, dachte König Paul, die macht einen Scherz, und er freute sich darauf sie zu sehen. Marie überlegte nicht lang, mit einer Flasche Wein in der Hand ging es los in Richtung Palast ... mal sehen, wie der Paul so wohnt.

Er öffnete die Tür, und ihr gefiel was sie sah, und er staunte nicht schlecht denn ihr Kleid hatte schon einen sehr tiefen Ausschnitt - Dirndl halt. Ok, an dieser Stelle muss man einfach sagen: das war schon frech von Marie, aber so ist es geschehen. Dieses Treffen verlief genauso entspannt wie das erste. Es wurde viel geredet und König Paul, ganz Gentleman, ignorierte einfach das Kleid von Marie, und das wiederum beeindruckte Marie. Zwei Stunden später ging Marie nach Haus mit einer Verabredung zum Spazierengehen und einem kleinen Abschiedskuss.

Gut gemacht König Paul!


Heiligengeistkirche Kiel


Am Sonntag trafen sich die beiden erneut, und diesmal waren beide nicht mehr so nervös. Sie gingen zum Hafen setzten sich auf eine Bank, hielten Händchen und küssten sich das erste Mal. Marie fing an ihn zu mögen und gerade als sie dachte: "Klasse, endlich mal ein toller Mann" fing er an von zwei total verschiedenen Welten zu reden. Autsch, König Paul, ganz großer Fehler. Klar, beide lebten in einer eigenen Welt, aber Marie war nicht damit einverstanden, dass diese Welten sie trennen sollten. Jetzt gab's Ärger! Was fiel ihm ein! Erst wollte er sie unbedingt kennenlernen, dann zog er die Notbremse, der spinnt wohl ... kein Singlemädchen lässt sich das gefallen!! Wenn hier einer die Notbremse zieht, dann ja wohl sie! Punkt. Aber König Paul wollte nicht die Notbremse ziehen, Marie hatte ihn missverstanden. Er meinte das mit den zwei Welten wirklich ernst und er hatte schon ein Raumschiff im Auge, das er für die Fahrt in ihre Welt benutzen wollte ... aber das wusste Marie nicht. Die war sauer! Naja, die Stimmung war etwas kühl und so gingen beide wieder in ihre Straße, und König Paul wurde von Marie zum Kaffee eingeladen. Er stand nun das erste Mal in ihrer süßen Wohnung und fühlte sich wohl. Der Kater mochte ihn gleich und eroberte einen Platz auf seinen Beinen. Alles gut, und Marie sah die beiden an, und ihr Herz wurde warm. Nun musste sie ihn küssen, und zwischen zwei völlig verschiedenen Welten bildete sich plötzlich eine Schnittmenge, die gefüllt werden wollte.
Tierlieber König Paul, sehr gut!

Die beiden begannen die Schnittmenge mit allen gemeinsam erlebten Ereignissen zu füllen. Beide hatten eigene Hobbies und Verpflichtungen ... aber das war kein Problem! König Paul nahm Marie mit zu Box- und Rollschuhveranstaltungen sowie zu Messebesuchen und Chorauftritten. Marie freute sich, dass er sie nicht bei Tanzauftritten oder eigenen Chorauftritten alleine liess. So füllte sich innerhalb kürzester Zeit die Schnittmenge mit den unterschiedlichsten Dingen, es kam nie Langeweile auf, und beide lachten manchmal so viel, dass sie Bauchweh hatten. Alles war einfach und schön und keiner von beiden konnte erklären, warum! Warum zickte Marie nie herum? Warum war König Paul nie gefrustet? Warum sahen alle das sie ein schönes Paar waren? Warum lachte König Paul so viel und verzieh Marie ihre Frechheiten? Warum verstanden sich beide so gut, obwohl ihr Leben vollkommen unterschiedlich war?

Ganz einfach, weil die Liebe sie erwählt hatte, und keiner sich von dem Anderen trennen wollte.
Egal dass Marie, weil sie so verliebt war, wochenlang zu wenig Schlaf bekam, egal dass König Paul seinen Untertanen mehr allein liess als diese wollten, nur die Schnittmenge zählte und das Vertrauen zueinander ... und das bekommt man nur, wenn man viel Zeit miteinander verbringt, für den anderen da ist und daran hartnäckig arbeitet. Das kann ein gemaltes Bild am Fenster sein, oder ein Krankenbesuch, ein Weihnachtsmarktbesuch, obwohl man Weihnachten nicht mag, Bilder anschauen und um jedes Pixel kämpfen. ... alle liebevollen Kleinigkeiten füllen diese Schnittmenge, und dann wird irgendwann ein eigene Welt daraus ...


Ellen Scheel


Alle Rechte vorbehalten - (C) by Ellen Scheel 2016



- Anzeige -
Ferrytales

Diese Geschichte stammt aus dem Buch

Das 13te Märchen

13 rasante Märchen zwischen
Wirklichkeit und Phantasie

Als E-Book und gedruckt überall erhältlich
Oder direkt In unserem Shop

ISBN 978-3-746778-99-0 (Taschenbuch)


Ein herumgeisternder Kapitän aus Friesland, ein übermütiges Sternchen auf seiner Reise durchs All, ein Zauberer, der eigentlich keiner werden wollte, eine Königin, die eigentlich keine ist, ein Schwein im Ruhestand, dessen Heimat bedroht ist, weil Meeresgott Neptun einen unkontrollierten Wutanfall hatte ... eine Menge skurriler Gestalten bewegen sich durch diese modernen Märchen.


Dabei geht es in rasantem Tempo durch alle möglichen Zeiten und Schauplätze: Wir besuchen Neptuns Reich, eine einfache Firmenkantine oder geheime Ritualplätze längst verstorbener Wesen. Oder wir befinden uns zwischen randalierenden Geistern verstorbener Seeleute auf einem Campingplatz, bei einem wilden Flugrennen feierlustiger Hexen, oder auf einer verwunschenen Burg im hohen Norden ... Oder im Second Hand Laden, gleich um die Ecke.

13 moderne Märchen, zum Schmunzeln und mit augenzwinkernder Moral.


Verwandte Artikel

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen nur eigene Cookies, die Ihrem Komfort dienen. Sie können diese ablehnen.