August Kopisch
Des winzigen Volkes Überfahrt
Steh auf, steh auf! Es pocht ans Haus –
"Tipp, tipp!" – Wer mag das sein?
Der alte Fährmann geht hinaus,
"Tipp, tipp!" – Wer mag das sein?
Nichts sieht er, – halb nur scheint der Mond,
die Sache deucht ihm ungewohnt! –
Da flüstert es fein:
"O Fährmann mein,
wir sind ein winzig Völkelein
und haben Weib und Kinderlein.
Fahr uns, die Müh ist klein,
und jedes zahlt sein Hellerlein.
Es lärmt zu sehr im Lande,
wir wollen zum andren Strande.
Unheimlich wird's an diesem Ort,
es gellt hier zu viel Hammerschlag
und schießt und trommelt fort und fort,
die Glocken läuten Tag für Tag!" –
– Der Fährmann steigt in seinen Kahn:
"Ich will euch fahren: kommt heran!
Werft ohne Betrug
das Geld in den Krug!" –
O welchen Lärm vernahm er da,
obwohl er nichts am Ufer sah;
er wußte nicht, wie ihm geschah,
es klang wie fern und war doch nah:
zehntausend kleine Stimmchen,
viel feiner als die Immchen.
Der Schiffer ruft den Knechte sein;
er kommt. Die kleinen Wesen schrein:
"Zertritt uns nicht, wir sind so klein!"
Da mußt er wohl behutsam sein!
Tick, tick! fiel's in den Krug hinab,
wie jeder seinen Heller gab.
Pirr! trippelt's heran
und stapft zum Kahn
und ächzt wie mit Kisten und Kasten schwer,
rück, drückt und schiebt sich hin und her,
es drängt und zwängt sich immermehr:
"Fahr ab, der Kahn will sinken,
fort! eh wir all ertrinken!"
Der Schiffer stößt vom Ufer los,
und als er jetzo drüben war,
geht an das Schiff mit leichtem Stoß.
Au! schrie die ganze kleine Schar,
in Ohnmacht fiel da manche Frau,
das hörte man am Ton genau.
Nun dappelt's hinaus
mit Katz und Maus,
mit Kind und Kegel und Stuhl und Tisch,
mit Kisten und Kasten und Federwisch.
Es war ein Lärmen und ein Gemisch
von Ruf und Zank und Stillgezisch.
Nichts sieht man, doch am Schalle
hört man, hinaus sind alle. –
Nach holt er wieder neue Schar:
die lärmt hinaus: er fährt zurück.
Als dreißigmal gefahren war,
laßt nach im Krug das tück tück tück. –
Er fährt den letzten Teil zum Strand,
Der Mond geht unter am Himmelrand.
Doch dunkel ist es nicht:
Was glänzt so licht?
Am Strand gehn tausend Lichter klein,
wie von Johanniswürmelein. –
Da rafft der Knecht vom Uferrain
Erdboden in den Hut hinein,
setzt auf und kann nun schauen
die Männlein und die Frauen.
O welche Wunder er nun sah:
der ganze Strand war all bedeckt,
sie liefen mit Laternchen da;
von Gras und Blumen oft versteckt,
und trugen Kindlein wunderhold
und Edelstein und rotes Gold. –
Hei, denket der Knecht:
das kommt mir recht!
und langt begierig aus dem Kahn
am Uferrande weit hinan: –
Da merket ihn ein kleiner Mann,
der fängt ein Zeterschreien an!
Puh, puh! sind aus die Lichte,
verschwunden alle Wichte!
Drauf flog es her wie Erbsen klein,
es mochten kleine Steinchen sein,
die warfen sie mit großer Pein
und ächzten mühsam hinterdrein! –
"Es sprühet immer mehr wie toll!
Fort, fort von hier, der Kahn wird voll!" –
Sie wenden geschwind
herum wie der Wind
und stoßen eilig ab vom Land
und fahren in Angst sich fest im Sand,
bald rechter Hand, bald linker Hand;
und immer ruft es nach dem Strand:
"Das Fliehn war euer Glücke;
sonst kamt ihr nicht zurücke!"
August Kopisch
Geboren am 26. Mai 1799 in Breslau
Gestorben am 6. Februar 1853 in Berlin.
Deutscher Historienmaler und Schriftsteller
Published by Ostufer.Net 2015