Moderne Kreuzfahrer
(hk) Wenn es um Spott geht, dann brauchen sich viele der neueren Kreuzfahrtschiffe keine Sorgen zu machen. Abfällige Bemerkungen gibt es reichlich. "Wellblechhütten", "Legebatterien", "schwimmende Plattenbauten", das ist noch der harmloseste Schmäh, den sich die neuen Bettenburgen und Pilgerstätten des Massentourismus zur See gefallen lassen müssen.
Eine verdiente Portion Extra-Spott handeln sich die Kreuzfahrer der TUI Cruises ein. Kein Mensch mit Liebe zu und Respekt vor der See würde auf die Idee kommen, seinen Kahn "Mein Schiff" zu nennen. Auch die Idee, die Bordwände mit Parolen vollzuschmieren, die billiger aussehen als manche Wandschmiererei aus einer Sprühdose, erzeugt bei vielen nur kopfschüttelndes Unverständnis. Solche Touristenkutschen entstehen nicht aus Liebe zur See oder zur Seefahrt, ihre Brutstätte sind die klimatisierten Büros von auf Profit getrimmten Marketing-Yuppies eines Landratten-Konzerns. Sie sind die schlimmsten Auswüchse eines Massentourismus zur See. Sie wurden gebaut für eine unkritische Masse, die jeden Unfug glaubt, den ein paar Werbefuzzis ihr unter die Nase reibt. Auch das "Wohlfühlschiff" ist eine hohle Bezeichnung. An Bord fühlt sich nur der schlechte Geschmack wohl.
Das Schiff
Pluspunkte sammelt der Kreuzfahrer bei der Umweltfreundlichkeit des Antriebs. Auch sonst sehr einseitige Umweltverbände geben zu, dass die Flotten von AIDAcruises und TUI zu den saubersten der Welt gehören. Obwohl sie nach wie vor mit Schweröl statt mit dem etwas umweltfreundlicheren Schiffsdiesel fahren. Letzter kostet allerdings um die 30 Prozent mehr als Schweröl. Die Argumentation: Die Filteranlagen der Schiffe können Schewröl mittlerweile so behandeln, das nichts anderes zur Verwendung kommt als Schiffsdiesel, wie ihn eine Raffinerie anliefern könnte.
Und: Was bleibt den Reedereien übrig. Die Abgasgesetze werden immer schärfer, es ist inzwischen ein absolutes Muss, neue Schiffe mit vernünftigen Filteranlagen auszustatten. Und die Gäste auf solchen Schiffen sind so gestrickt, dass sie für Umweltmaßnahmen auch nicht einen Cent mehr ausgeben würden. Ihnen sind Atemwegsbeschwerden und verrußte, schmierige Fenster der Hafenanwohner völlig egal. Und richtig Dreck macht der Kahn doch: Die Müllverbrennungsanlage wird erst ab einer Entfernung von 20 Seemeilen zum Land in Gang gebracht. Und auch für den schmierigen Ruß gibt es noch keine Abhilfe, in Kiel werden ganze Stadtteile mit dem schwarzen Dreck überzogen.
Einrichtung und Ausstattung
Bei der Einrichtung scheint es, als hätte man vorher eine Umfrage unter 1.000 Deutschen mit dem schlechtesten Geschmack der Nation gemacht. Und dann die schlechtesten Ideen in einen Topf gekippt. Nichts passt irgendwie zusammen, Formen und Farben beissen sich.
Überall dünstet das Schiff eine Mischung aus VEB Christbaumschmuck, einer billigen Kopie vom Raumschiff Orion und Resterampe aus. Man hat nirgendwo das Gefühl, wirklich willkommen zu sein, die Einrichtung hat den Charme einer Bushaltestelle oder eines Wartesaals. Das geht bis hin zu den Sonnenliegen, die an Feldbetten in einem Militärcamp erinnern. Dazu stehen die Liegen dicht an dicht, ein Brathähnchen hat in seinem Backofen ein relativ besseres Platzangebot.
Insgesamt wirkt alles etwas dünnbrüstig, überall macht sich farbloser Kitsch breit. Edle Materialien sucht das Auge vergebens.
Die Pluspunkte, die das Schiff bei der Umweltfreundlichkeit der Maschinen sammelt, verliert es doppelt und dreifach bei der Ausstattung. Der gerade verlegte Teppichboden hatte sehr unangenehme Ausdünstungen. An allen Ecken reichen sich Konzerne die Hand, bei denen der Profit ganz vorne und Mensch, Geschmack und Umwelt ganz hinten stehen. Computer und Spielekonsolen sind Massenware aus China und Japan. Die Getränke sind die von der Supermarktkette um die Ecke, einen vernünftigen Schampus sucht man vergebens. Zu oft stößt man auf Markennamen, die Menschen mit Grips und etwas Umweltbewusstsein niemals kaufen würden. Es mag eine gute Idee sein, die Plastikflaschen für Wasser in den Kabinen gegen Karaffen aus Glas auszutauschen. Keine gute Idee war es, in den Kabinen Kaffeemaschinen zu installieren, die dafür bekannt sind, haufenweise überflüssigen Müll zu produzieren.
An Bord sollen für drei Millionen Euro Kunstgegenstände installiert worden sein. Wo genau, das erschliesst sich anscheinend nur demjenigen, der die Millionen eingestrichen hat. Und vielleicht noch der Buchhaltung von TUI.
Fazit: Ein Schiff, das für den Low-Level-Geschmack des deutschen Piefkes gebaut wurde. Hier ist die Welt so, wie er sie aus seinem Fernsehsessel gewohnt ist, hier kann er seinen gewohnten Trott weiterleben. Individualurlaub ist eine ganz andere Geschichte, hier wird im Gleichschritt marschiert und in Reih und Glied in der Sonne gelegen. Auf diesen schwimmenden Ghettos bleibt es der trägen Einfalt erspart, sich mit Sitten und Gebräuchen fremder Länder und Menschen befassen zu müssen.
Einige Werbeplakate für das Schiff hingen in Kiel an Wartehäuschen von Bushaltestellen. Sehr sinnig.
DATEN Mein Schiff 4 Typ: Kreuzfahrer Bauwerft: Meyer Turku Oy - Baunummer 1384 Indienststellung: 7. Juni 2015 Flagge: Malta - Reederei: TUI Cruises Länge: 295 m - Breite: 35,8 m - Tiefgang: 8,05 m Vermessung: 99.500 BRZ Antrieb: dieselelektrisch - Leistung: 28.000 kW Geschwindigkeit: ca. max. 21,7 kn Anzahl Decks: 15 Besatzung: ca. 1.000 - Passagiere: 2.506 (auf 2-Bett-Basis) Kabinen / Öffentliche Bereiche Passagierkabinen: 1.253 123 Innenkabinen (davon 2 barrierefreie) 97 Außenkabinen (davon 4 barrierefreie) 957 Balkonkabinen (davon 4 barrierefreie) 64 Junior Suiten - 12 Suiten Restaurants & Bistros: 11 - Restaurantfläche: ca. 4.952 qm Bars & Lounges: 11 Fläche Aussendeck: ca. 17.795 qm - SPA & Sport: ca. 1.900 qm
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