Es herrschte doppelter Ausnahmezustand. So viel Blaulicht hat man in Kiel bisher selten auf einem Haufen gesehen. Der Anlass war entsprechend: Unter einer Minigolfanlage im Kieler Stadtteil Gaarden wurde eine britische Fliegerbombe gefunden. Entschärfen war unmöglich, der Langzeitzünder war bereits scharf gestellt, eine falsche Handbewegung hätte reichen können, um eine Explosion auszulösen.
Das war auch für die erfahrenen Männer vom Kampfmittelräumdienst kein alltäglicher Einsatz. Es ist bereits rund zehn Jahre her, dass ein Blindgänger so gefährlich war, dass er vor Ort gesprengt werden musste. Ursache für dieses Vorgehen war der Langzeitzünder der Bombe: Eine falsche Handbewegung hätte einen gewaltigen Schaden anrichten können, die Bombe war scharf. Also musste sie an der Fundstelle gesprengt werden. Was für eine Wucht hinter so einer Bombe steckt, war bei der Sprengung noch weit ausserhalb der Absperrung zu spüren, Boden und Häuser wackelten.
Diese Art von Sprengkörpern war eine der perfidesten Waffen im Zweiten Weltkrieg. Langzeitzünder heisst soviel wie Zeitzünder. Diese Bomben sollten nicht sofort beim Aufschlag detonieren. Erklärtes Ziel war es, nach den eigentlichen Luftangriffen die Lösch- und Aufräumarbeiten zu stören. Bei solchen "delayed-action bombs" wird der Zündvorgang bereits vor dem Aufschlag in Gang gesetzt, bei den üblichen Spreng- und Brandbomben wird der Schlagbolzen durch den Aufschlag auf den Boden in die Zündladung gedrückt.
Nach über 70 Jahren weiss man bei keiner Bombe genau, in welchem Zustand die Zündvorrichtung ist, auch von den "regulären" Bomben geht noch große Gefahr aus. Die in Gaarden gefundene Bombe ist vergleichbar mit einer durchgeladenen Pistole, bei der der Hahn bereits gespannt ist. Und niemand weiss ganz genau, wann der Abzug sich selbständig macht. Schon durch Vibrationen beim Ausbaggern hätte die Bombe hochgehen können. Deswegen auch die ungewohnte Eile bei der Räumung. Photo oben: Der Aufschlagzünder einer britischen Bombe, die im Sommer 2018 auf dem Kieler Ostufer gefunden wurde.
Die Vorgehensweise: Nach dem Freilegen der Bombe wurde eine dicke Manschette in die Grube abgelassen, auf dem Photo die völlig zertrümmerten Reste dieser Manschette. Diese Manschette sollte auch den entstehenden Druck nach oben ableiten. "Das hat sehr gut funktioniert", so Herr Kinast, der Leiter des Kampmittelräumdienstes. An der Bombe selbst wurden zwei Sprengladungen befestigt. Dann wurde die Grube mit Holz abgedeckt. Auf diese kamen zwei "Kissen", jeweils gefüllt mit etwa 10.000 Litern Wasser. Diese Kissen sollen die Wucht der Detonation abfedern und gleichzeitig ein eventuell entstehendes Feuer löschen. Das Material hat seine Arbeit erledigt, war dann aber auch erledigt.
Weitere Schäden hat es zum Glück kaum gegeben, ein paar Dachziegel und einige Zweige der umliegenden Bäume mussten dran glauben. Ein neben der Explosionsstelle stehendes Vogelhaus ist jetzt etwa so in Schieflage wie ein Baum in Friesland. Nur Minigolf wird man auf der schönen Anlage wohl länger nicht spielen können, derzeit ist der Platz eine Schlammwüste.
Die Sicherheitsvorkehrungen waren immens und umsichtig, in der Kürze der Zeit eine logistische Meisterleistung. Der gesamte Bereich um den Bombenfund wurde durch die Feuerwehr vorab mit Schläuchen ausgelegt. Ein Notarzt und ein Krankenwagen standen in unmittelbarer Nähe bereit, ein Dekontaminierungstrupp der Feuerwehr war ebenfalls vor Ort. Hilfe kam von allen Seiten: Auf die Schnelle wurden auch 15 Beamte der Bereitschaftspolizei Eutin abgezogen, die eigentlich gerade bei einem Einsatz in der Nähe von Hamburg waren.
Der Rest vom Schützenfest. Rechts die Manschette, die man um die Bombe gelegt hat. Die Plastikfetzen sind die Reste der Wasserkissen, die oben auf die Bombe gelegt wurden. Der Boden hat trotzdem gewackelt, auch noch in einiger Entfernung. Von der Bombe selbst ist nichts mehr zu sehen, nach der Sprengung und der Entfernung der Manschette ist das vier Meter tiefe Loch in sich zusammengefallen.
Dass dies kein gewöhnlicher Einsatz war, merkte man den Männern vom KRD an. Nach der Sprengung wirkten sie so gelöst und erleichtert wie selten. Insgesamt muss man ein großes "DANKE!" an alle Beteiligten aussprechen. Dafür, dass alles innerhalb von kürzester Zeit organisiert werden musste, hat die Aktion hervorragend geklappt.
Für die Lebensmüden
Wie schon öfter, wollten einige Uneinsichtige das Sperrgebiet nicht verlassen, so dass die Sprengung sehr viel länger gedauert hat als geplant. Für die Betreffenden dieses Photo: So sehen die Trümmer einer explodierten Bombe aus, messerscharfes Metall. Solche Trümmerstücke halten sich im Zweifelsfall nicht an den festgelegten Sperrbezirk, sie können noch sehr viel weiter fliegen und tödlichen Schaden anrichten.
Weiteres zum Kampfmittelräumdienst:
Eine bombige Arbeit - Der Kampfmittelräumdienst
Ergänzung - Die Historie
Der Angriff
Anhand von Luftaufnahmen wird vermutet, dass die Bombe in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1944 über Kiel abgeworfen wurde. Als Angriffszeit wird 1 Uhr morgens genannt. Es soll der schwerste Angriff der RAF auf die Stadt überhaupt gewesen sein. Ausgeführt wurde der Angriff durch die 103. Squadron und die 576. Squadron der RAF. Der Verband bestand aus insgesamt 629 Flugzeugen, darunter zehn Mosquito-Jäger als Geleitschutz. Die deutsche Seite soll durch den Angriff völlig überrascht worden sein. Eingesetzt wurde der "Mandrel jamming screen", eine Tarnvorrichtung, die das deutsche Frühwarnsystem erfolgreich getäuscht hat.
Laut Einsatzbericht des RAF Bomber Command sollen in dieser Nacht 500 "delayed-action bombs" auf Kiel geprasselt sein und für ernsthafte Probleme beim Aufräumen gesorgt haben. Die Innenstadt war wegen der Masse der nicht explodierten Bomben für längere Zeit nicht begehbar. Nach dem Angriff soll für drei Tage die Wasserversorgung zusammengebrochen sein, Busse und Bahnen konnten acht Tage nicht fahren, und die Gasversorgung war für ganze drei Wochen lahmgelegt.
Ein Grund für den heftigen Angriff war ein neuer Typ U-Boote. Als die Briten entdeckten, dass dieser revolutionäre Typ auf den Werften in Rekordzeit zusammengebaut wurde, wurden die Bombardements erst richtig wütend. Im I. Weltkrieg war Churchill Marineminister. Aus dieser Zeit hatte er noch einen Heidenrespekt vor dieser deutschen Waffe. Zu Recht, wie sich herausstellte. Als die Alliierten nach der Kapitulation die Werften besichtigten, mussten sie entdecken, dass die deutschen Ingenieure allen anderen um zehn Jahre voraus waren.
RAF Bomber Command - Der Einsatzbericht
Kiel: This was the first major raid on a German city for two months. 629 aircraft - 519 Lancasters, 100 Halifaxes, 10 Mosquitos - were dispatched. The elaborate deception and RCM operations combined with the surprise return to a German target completely confused the German fighter force and only 4 aircraft - all Lancasters - were lost, a rate of 0.6 per cent. The city suffered heavily in this first RAF raid since April 1943 and its heaviest RAF raid of the war. The bombing force appeared suddenly from behind a Mandrel jamming screen and the local radio warning system only reported it as being a force of minelaying aircraft. 612 aircraft then bombed in a raid lasting only 25 minutes. All parts of Kiel were hit but the bombing was particularly heavy in the port areas and all of the important U-boat yards and naval facilities were hit. The presence of around 500 delayed-action bombs or unexploded duds caused severe problems for the rescue and repair services. There was no water for 3 days; trains and buses did not run for 8 days and there was no gas for cooking for 3 weeks.
Returning crews reported the markers used were rather scattered and green Wanganui sky markers were used The Master Bomber was very helpful although rather inclined to give orders and later contradict them for new ones. Flak over the target was in barrage form and intense to moderate. A few fighters were seen. P/O Westcott and crew of 103 Sqn was attacked by a Ju88 but evaded. For 576 Sqn F/O Rainey and crew reported one combat and claimed their attacker as destroyed. From 103 Sqn F/L Marsden and crew were an early return with an engine failure. For 576 Sqn F/O MacDonald and crew were first back at 0325 and for 103 Sqn F/L Broadbent and crew touched down at 0335.
Photoserie: Der Krieg im Norden
Kommentare powered by CComment